Bundestagsrede zur Änderung des Atomgesetzes

Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Während 1986 nach Tschernobyl die kleine Tochter von Harald Ebner keinen Frühling erlebte, ließ man uns als 20-jährige Grundwehrdienstleistende durch die brandenburgischen Wälder robben. Wir sammelten Pilze. Die Atomlobbyisten aller politischen Systeme waren sich schon immer erschreckend einig: verharmlost, verschwiegen, unverantwortlich.

Aber mit dieser Erfahrung in die Gegenwart! Am Mittwoch ging der größte schwedische Atomreaktor unplanmäßig vom Netz. Heute vor einer Woche hat die französische Atomaufsichtsbehörde das Hochfahren des Reaktors Cattenom 1 untersagt. Defekte Schweißnähte gefährdeten die nukleare Sicherheit. Das sind nur mal zwei von unzähligen Beispielen dieses Jahres, die eines ganz klar zeigen: Atomkraftwerke sind keine zuverlässige, stabile Energiequelle.

In Frankreich sieht man die Folgen atomfreundlicher Energiepolitik: Mehr als die Hälfte der Kraftwerksleistung fehlt seit Monaten am Netz. Die Strompreise sind dort deutlich höher als hier in Deutschland, auch zur Stunde übrigens. Bei uns drücken viel Wind- und Sonnenstrom den Großhandelspreis. Klar, dass das einigen wehtut und nicht gefällt. Trotzdem aber – oder eben deshalb – halten einige Ideologen weiter an der Mär zuverlässiger, günstiger Atomenergie fest und verkaufen sie dann als klimafreundliche Brücke zu einer Energiewelt mit 100 Prozent Erneuerbaren. Dabei gehört die Atomkraft ebenso wie Fracking zur alten Welt konventioneller Energie.

Sie ist eben keine Brücke in die neue Welt. Sie ist ein Brückenpfeiler, auf Sumpf gebaut.

Denn Atomkraftwerke sind unflexibel. Sie können die Produktion nicht an Verbrauch und volatile Erzeugung aus Sonne und Wind anpassen. Sie verstopfen die Netze und zwingen dazu, Erneuerbare abzuschalten.

Für uns Grüne ist klar: Der Atomausstieg ist nötig, und daran rütteln wir nicht. Neue Brennstäbe mit neuem Atommüll gibt es mit uns definitiv nicht.

Aber der Energiekrise begegnen wir mit allen sinnvoll verfügbaren Maßnahmen. Gerade in diesem Winter besteht die Gefahr, dass es über begrenzte Zeit zu kritischen Netzsituationen kommen könnte, die geordnetes Abschalten erfordern könnten – geringer übrigens als anderswo, auch in Westeuropa. Der Stresstest hat gezeigt, dass die süddeutschen AKWs einen sehr begrenzten Beitrag leisten können, die Situation zu entspannen. In Abwägung zwischen nuklearer Sicherheit und Energieversorgungssicherheit halte ich daher deren Streckbetrieb für fachlich vertretbar.

Das trifft für das AKW Emsland nicht zu.

In Norddeutschland gibt es genügend andere Kraftwerkskapazität. Der dort fachlich für mich nicht nachvollziehbare Streckbetrieb ist ein sehr schwer hinnehmbarer politischer Kompromiss.

Das wird mich nach gewissenhafter Abwägung jedoch nicht davon abhalten, dem Regierungsentwurf zuzustimmen. Denn das Wichtigste, was dieser eben auch enthält und was explizit vom Kanzler bestätigt wurde, ist: Es wird keine neuen Brennelemente geben,

und am 15. April 2023 werden die verbleibenden AKWs endgültig abgeschaltet und unverzüglich rückgebaut. Herr Bundeskanzler, vor allem auch Sie stehen hier im Wort.

Vielen Dank.

Es gilt das gesprochene Wort.

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